Diese Fotos wurden mir von den Gemeindefeuerwehren zur Verfügung gestellt

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Oberdorf Stans Wolfenschiessen BF Pilatus Die Luftbrücke nach Engelberg

 

In der schweizerischen Feuerwehrzeitung SFZ Ausgabe Oktober 2005 wurde nachfolgender Bericht veröffentlicht. Verfasser dieses Berichtes sind die beiden Nidwaldener SFZ-Korrespondenten Edi Ettlin Stans und Karl Graf Stansstad

 

Das Unwetter vom August 2005 in Nidwalden

Ausnahmezustand zwischen See und hohen Bergen

Die Geografische Lage Nidwaldens mit Berg- und Talgebieten stellte die Führungsstäbe und Wehrdienste beim Unwetter vor die vielfältigsten Aufgaben. Die Schwierigkeit bestand darin, die Mittel so einzusetzen, dass jederzeit auf weitere mögliche Eskalationen reagiert werden konnte. Unterstützung erhielten die Nidwaldner von Feuerwehren und Zivilschutzorganisationen anderer Kantone sowie von der Armee.

 

Karl Graf und Edi Ettlin

SFZ-Korrespondenten NW

 

Die Nidwaldner Feuerwehren blickten bereits am Sonntag, dem 21. August 2005 mit Sorge auf die zahlreichen Gewässer des Kantons. Das Feuerwehrinspektorat hatte eine Hochwasserwarnung herausgegeben und entsprechende Überprüfungen angeordnet. Wie bereits am Tag zuvor war die Feuerwehr Stansstad beim Rütelibach in Kehrsiten bereits an der Arbeit. Da und dort im Kanton gab es kleinere Einsätze zu leisten. Um 21.45 Uhr meldete Wolfenschiessen, dass die Engelberger Aa die erste Hochwassermarke erreicht hatte. Bis Mitternacht blieb die Situation konstant, doch ein Ende des Dauerregens schien nicht in Sicht.

 

Eine lange Nacht

Nach Mitternacht eskalierte die Situation und um 02.00 Uhr stand ein Grossteil der Feuerwehren mit rund 750 Personen im Einsatz. Die Wassermassen hatten bedrohlich zugenommen und an unzähligen Hängen löste sich das Erdreich. Primär galt es nun, durch gezielte Alarmierungen und Evakuationen das Leben von gefährdeten Bewohnern und Tieren zu schützen. Mit den für Elementarereignisse bereitgestellten Mitteln wie Sandsäcken, Brettern, Bauplastik und Pumpen wurden weitere Folgeschäden vermieden. Auch das Aufgebot von schweren Mitteln von Baugeschäften diente diesem Zweck. In vielen Gemeinden wurden Strassen verschüttet und Häuser beschädigt. In Stansstad wurde das Quartier Zielmatte durch Wasser und Geschiebe verwüstet.

Bei Tagesanbruch machten Nachrichten aus anderen Unwettergebieten die Runde. Im Entlebuch waren zwei Kameraden umgekommen. Viele Feuerwehrleute realisierten jetzt, dass diese Nacht erst der Anfang eines langen Einsatzes war.

 

Kantonale Führung

Das Feuerwehrinspektorat Nidwalden verfügt zur Unterstützung der Feuerwehren bei Grossereignissen über eine Katastropheneinsatzleitung Feuerwehr Nidwalden, genannt KEL NW. Diese besteht aus Feuerwehrinstruktoren mit grosser Einsatzerfahrung, die den Kurs für die Führung von Grossereignissen des SFV besucht haben. Während der Nacht waren fast alle diese Instruktoren in den eigenen Feuerwehren im Einsatz und standen somit leider nicht zur Unterstützung und zur Bildung eines kantonalen Einsatzstabes zur Verfügung. Das Feuerwehrinspektorat, bestehend aus dem Inspektor und den beiden Stellvertretern, wurde zur Unterstützung des kantonalen Führungsstabes und zur Koordination der Feuerwehren und deren Mittel bereits in der Nacht aufgeboten. Mit einem stetigen Informationsaustausch zwischen den Kommandanten an der Front und dem Inspektorat konnten die noch wenigen zur Verfügung stehenden eigenen Ressourcen zielgerecht eingesetzt werden.

 

Wasserwehr an der Aa

In den vergangenen Jahren hat der Kanton die Realisierung eines Hochwasserschutzprojektes an der Engelberger Aa vorangetrieben, das zwischen Büren und Buochs weitgehend umgesetzt ist. Für die Entscheidungsträger und ausführenden Organe besteht ein Ordner mit Ablaufschemen und Firebird-Einsatzplänen, mit denen sich die Feuerwehren intensiv befasst haben. Die getätigten Investitionen von 26 Mio. Fr. haben nun einen Schaden von über 100 Mio. Fr. in der Stanser Ebene verhindert.

Nebst der Verstärkung der Dämme wurden auch einige Vertiefungen im Damm, so genannte Entlastungsstellen, gebaut. Wenn eine bestimmte Durchflussmenge erreicht ist, werden freie Flächen automatisch gezielt überflutet, was den Druck auf den Damm flussabwärts reduziert und Verklausungsprobleme bei Brücken beseitigt.

Als die Aa am Montag früh um 03.30 Uhr die unterste Entlastungsstelle überflutete, hatte für die Feuerwehr Buochs das Halten des nahen Industriegebiets erste Priorität. Sie verstärkte den Schutzwall am Rand der Überbauung und konnte die Wassermassen weitgehend abweisen. «Meine Hauptsorge waren eingelagerte Chemikalien, die den See beträchtlich hätten verschmutzen können», erinnert sich Feuerwehrkommmandant Toni Niederberger.

Um 11.00 Uhr trat die Engelberger Aa dann über eine weitere Entlastungsstelle. Leider war die linke Seite des Flutungskorridors gegen Ennetbürgen hin noch nicht ausreichend baulich begrenzt und die schlammigen Wassermassen drangen auf breiter Front ins Dorf ein. Rund 100 Hilfsbegehren erreichten die Feuerwehr Ennetbürgen an diesem Tag. Wo möglich und sinnvoll wurde mit Sandsäcken und Pumpen geholfen.

 

Bis an die Belastungsgrenze

Im Laufe des Morgens spitzte sich die Lage auch in anderen Gemeinden zu. Die Feuerwehren halfen sich gegenseitig aus und standen mit allen verfügbaren Mitteln pausenlos im Einsatz.

Im abgeschnittenen Bergtal um Oberrickenbach gingen grossflächige Murgänge nieder. Eine Rüfe zerstörte einen Stall vollständig und tötete das Vieh. Die Bewohner einer ganzen Talflanke mussten evakuiert werden.

Im Tal überflutete die Aa weite Gebiete vor und nach dem Dorf Wolfenschiessen. Die Wassermassen richteten schwere Schäden an Gebäuden, Verkehrsverbindungen und am Kulturland an. Die Dammwachen der Feuerwehren patrouillierten ununterbrochen. Gegen drohende Verklausungen waren Baumaschinen an Brücken und Geschiebesammlern im Engelbergertal an der Arbeit.

Die Feuerwehr Stans setzte alles daran, das Wasser, das sich über den Hang des Stanserhorns ergoss, am Kantonsspital vorbeizuleiten. Dennoch mussten die Feuerwehrleute mit ansehen, wie im Spital die Lichter ausgingen. Auch als das Oberflächenwasser gebändigt war, blieben die technischen Räume durch Grundwasserströme überflutet. Um die Pumpleistung zu erhöhen, wurde die Chemiewehr Uri aufgeboten, die anschliessend in Ennetbürgen noch einen Einsatz in einem gefluteten Lagerraum mit Gefahrengut leistete.

 

Schutz der Infrastruktur

Das Schützen und Halten von öffentlichen Infrastrukturen wie Trafostationen, Wasserversorgungen und Kanalisationsnetzen hatte eine hohe Priorität und verlangte den Wehrdiensten einiges ab. Mit grosser Anstrengung konnte beispielsweise in Dallenwil ein Wasserpumpwerk von Schmutzwasser frei gehalten werden, so dass kein Trinkwasser kontaminiert wurde.

In einigen Gebieten stellten die Feuerwehren den Betrieb der auf Seeniveau nötigen Fäkalpumpen im ohnehin überlasteten Kanalisationsnetz sicher.

In Dallenwil und Hergiswil gelang es, Hänge präventiv zu sichern und Strassen zu schützen.

Die Zusammenarbeit der Partnerorganisationen im Bevölkerungsschutz war am Montag bereits voll im Gang. In der Nähe stationierte Armeeeinheiten boten sofort und äusserst flexibel Hilfe an. Weil die Soldaten des Kompetenzzentrums SWISSINT in Wil für ihre Auslandeinsätze auf grösstmögliche Autonomie vorbereitet werden, waren sie bereits in den ersten Stunden in der Lage, für Logistik- und Überwachungsaufgaben einzuspringen. So wurde die Verpflegung des Kantonsspitals Nidwalden durch diese Truppe sichergestellt. Auch das Einsatzkommando Katastrophenhilfe leistete durch gezielte Einsätze wertvolle Hilfe (siehe separater Einsatzbericht).

 

Hochwasseralarm!

In der Nacht auf Dienstag hatte der Regen endlich aufgehört. Doch der Nidwaldner Bevölkerung standen nochmals bange Augenblicke bevor. Der Vormittag verlief ganz unter dem Eindruck eines befürchteten Dammbruchs. Hinten im Tal hatten Dammwachen beobachtet, wie sich immer mehr Wasser über den Rand des Ausgleichsbeckens Obermatt nahe der Aa ergoss. Gegen 10.30 Uhr erliess der kantonale Führungsstab einen Hochwasseralarm für die Gemeinden des Engelbergertals bis nach Stansstad. Mit Zivilschutzsirenen und Radiomeldungen wurde die Bevölkerung angewiesen, in höher gelegene Stockwerke zu gehen. «Der schlimmste Moment war, als wir unsere Leute von der Aa zurückziehen mussten», erinnert sich der Dallenwiler Feuerwehrkommandant Roland Hurschler. Nach einer guten halben Stunde war klar, dass ein Dammbruch nicht unmittelbar bevorstand und der Alarm wurde aufgehoben.

 

Steigender Seepegel

Inzwischen überschwemmte der steigende Vierwaldstättersee das vom Schlamm überströmte Dorf Ennetbürgen von der Gegenseite her. Die Feuerwehr begann, Bürger mit warmen Mahlzeiten aus der Altersheim- und der Zivilschutzküche zu versorgen. Auch Stansstad stand zunehmend unter Wasser. In den Seegemeinden musste dafür gesorgt werden, dass Boote in Häfen und Bootshäusern durch den Anstieg nicht beschädigt wurden. Der Feuerwehr Hergiswil gelang es, den Ofen der Glasi mit sechs Motorspritzen trocken zu halten und zu schützen, was einem Schaden von 10 Mio. Fr. verhindert hat.

Dem Grundwasser, das in verschiedenen Gemeinden 1,5 m über dem Normalpegel stand war kaum mehr beizukommen. In mobile Einsatzgruppen aufgeteilt leisteten die Feuerwehren Hilfe.

 

Logistische Aufgaben

Zu Beginn des Ereignisses standen den Feuerwehren etwa 10 000 Sandsäcke für den Ersteinsatz zur Verfügung. Während dem weiteren Verlauf des Unwetters wurden zusätzliche 20 000 Sandsäcke organisiert und bereitgestellt. Allein in Stansstad verbaute die Feuerwehr mit freiwilligen Helfern für Dämme und Stege 10 000 Sandsäcke, 600 Bretter und 2500 Paletten.

Gefragt war auch Pumpenmaterial in grossen Mengen. Das Feuerwehrinspektorat und die Nidwaldner Sachversicherung organisierten Tauch- und Schmutzwasserpumpen, die im Stützpunkt Stans an Feuerwehren und Private vermittelt wurden. Ebenfalls wurde Material von Feuerwehren anderer Kantone geliefert. Die Freiwillige Feuerwehr Zug rückte zusätzlich mit Personal an und entlastete die Nidwaldner Kameraden.

In der Gemeinde Wolfenschiessen waren inzwischen viele Höfe und bewohnte Alpen von der Umwelt abgeschnitten. Mit Hilfe von Armeehelikoptern wurde ein ausgeklügeltes Verteilsystem für Lebensmittel, Medikamente, Treibstoff und Post errichtet. Feuerwehr- und Polizeipatrouillen versorgten die Bewohner der Uferzonen Ennetbürgens mit Informationen. Die Basis für die Luftbrücke nach Engelberg, die wesentlich durch die Luftwaffe betrieben wurde, wurde zunächst in Will, später in Buochs eingerichtet.

 

Folgeprobleme

«Jeder Tag brachte uns neue Probleme, die uns wieder aufs Äusserste forderten», erzählt der Wolfenschiesser Kommandant Christof Näpflin. Als Beispiel führt er die Heubelüftungen an, die in vielen Ställen ausgefallen waren. Mit Sonden mussten die Temperaturen in den Heustöcken kontrolliert werden. Ein Stall in Oberrickenbach wurde nach einer kritischen Messung unter Brandschutz ausgeräumt.

Ein weiteres Problem, das am Mittwoch beim Höchststand des Sees in Stansstad akut wurde, waren aufgerissene Heizöltanks. Abdichtungen und 1 km Seesperre stoppten die Ausbreitung des Öls. Durch den Einsatz von Rettungstruppen gelang es, das Öl aufzusaugen und vom Wasser zu trennen.

Obwohl noch viel zu tun blieb, zeichnete sich ab Mitte Woche eine Entspannung an allen Fronten ab. Für die meisten Feuerwehren dauerte der Einsatz zwar noch bis zum Wochenende. Feuerwehrleute, die bisher nur wenige Stunden geschlafen hatten, konnten sich nun jedoch etwas längere Ruhepausen leisten. Gleichzeitig wurden mehr und mehr Aufräumarbeiten durch den Zivilschutz übernommen. Die Feuerwehren begannen mit der Rücknahme von Material und der Retablierung.

 

Ausbildung und Planung

Bei der Bewältigung von solchen Grossereignissen ist die Ausbildung und das Bewusstsein um die Naturgefahren von entscheidender Wichtigkeit. Für die Schulung führt das Feuerwehrinspektorat seit Jahren Kurse zu Themen wie Stabsarbeit, Führung bei Grossereignissen, Elementarereignisse und Verhütung von Folgeschäden durch. Diesem Umstand ist es zu verdanken, dass die Nidwaldner Feuerwehren ab Beginn des Unwetters 2005, und dies unter Zeitdruck, gezielte Sofortmassnahmen eingeleitet haben. Es darf mit Genugtuung festgestellt werden, dass dadurch erwiesenermassen Menschenleben gerettet wurden und viele betroffene Personen vor weiterem Schaden geschützt wurden.

Die Gefahrenkarten als wichtige Planungsgrundlage haben laut Feuerwehrkommandant Näpflin den Test bestanden: «Wenn wir die Luftbilder des Unwetters auf unsere Gefahrenkarten legen, ergibt sich eine beeindruckende Übereinstimmung.» Dort, wo Schutzprojekte umgesetzt waren, haben sie weitgehend funktioniert. Ein Geschiebesammler am Humligenbach oberhalb des Dorfes Wolfenschiessen bestand bereits drei Wochen nach seiner Fertigstellung die Bewährungsprobe. Als er schliesslich überlief, floss das Wasser wie geplant am dichtesten Siedlungsgebiet vorbei. Das Einsatzkonzept für die Engelberger Aa, das zum ersten Mal zur Anwendung kam, hat sich ebenfalls bewährt.

 

Bewährte Strukturen

Die Feuerwehrstruktur, wie sie im Kanton Nidwalden vorhanden ist, hat sich auch bei diesem flächendeckenden Grossereignis bewährt. Eine schnelle Alarmierung, unmittelbare Einsatzbereitschaft, kurze Wege sowie motivierte Leute mit entsprechenden Ortskenntnissen trugen massgeblich zum Erfolg bei. So standen etwa die Feuerwehren von Oberrickenbach, Obbürgen und Kehrsiten über längere Zeit, teilweise von ihren Muttergemeinden abgeschnitten, autonom im Einsatz.

 

Dank

Den Einsatzkräften von Feuerwehr, Zivilschutz und allen übrigen Personen, die in diesen Tagen unermüdlich gearbeitet haben, gilt an dieser Stelle ein aufrichtiger Dank. Besonders die Kameraden aus Uri, Baselland, Thurgau, Zug und dem Aargau, die Material geliefert und auch selbst zugepackt haben, waren für die Nidwaldner Feuerwehren ein grosser Aufsteller.